Einen Angsthund strafen – gefährlicher Unsinn?
Leider sieht man es ganz oft im TV-Hundetraining:
Angsthunde, die körperlich vom Menschen vom bedrängt werden und in ihrer Angst
dann abschnappen oder gar zubeißen. Die „therapierenden“ TrainerInnen strafen
dann.
Da gibt es die positive Strafe, hier wird der Hund
mit einem unangenehmen Reiz gestraft, damit das Beißen in Zukunft nicht wieder
auftaucht. Das kann sein:
- das Zischgeräusch „Gssscht!“
- ein unangenehmer Stoß in die Seite
- Schlagen oder Treten usw.
Und es gibt auch die negative Strafe. Hier wird dem
Hund ein angenehmer Reiz verwehrt. Wir entziehen dem Hund zum Bespiel unsere Aufmerksamkeit
und ignorieren ihn über mehrere Tage. Auch diese Maßnahme soll dann in Zukunft
die Abwehrreaktion des Hundes reduzieren. Der Phantasie der Menschen sind hier leider keine
Grenzen gesetzt – vom Stromschlag bis zum Kellerarrest!
Kein Wunder also, dass ich auf meinen
Angsthundseminaren dann mit der Frage konfrontiert werde: „Wie bestraft man
denn den Angsthund jetzt richtig, wenn er wirklich zubeißt?“ Nah an der
Schnappatmung, bemühe ich mich dann um eine sachliche Erklärung, die nun auch
Thema dieses Blogbeitrags ist.
Nehmen wir
ein praxisnahes Beispiel. Emil hat große Angst vor menschlichen Berührungen. Auf dem Foto sieht man wie Emil in der Box liegt, beschwichtigt
und fast erstarrt. Wenn man in dieser Situation nach Emil greift, kann es sein,
dass er angreift, weil es für Flucht zu eng ist. Hier braucht sich auch niemand
herausreden mit einem: "I didn´t see that coming!"
Für Menschen und für Hunde gibt es fünf
Verhaltensweisen bei Angst – die berühmten 5 „F“:
- Freeze – einfrieren
- Flee – flüchten
- Faint – aufgeben/unterwerfen
- Fooling around – herumalbern
- Fight – kämpfen
Diese 5 Verhaltensweisen sind ein uralter
Schutzmechanismus und genetisch vorprogrammiert. Sehr häufig entscheidet sich ein Angsthund, der
nicht ausweichen kann, für die Variante Angriff und beißt zu. Nur weil ein Hund
Angst hat, heißt das nicht, dass er sich zwangsläufig unterwirft oder aufgibt.
Das ist auch beim Menschen so. Es gibt Menschen, die versuchen sich bei einem
Angriff zu wehren und es gibt Menschen, die aufgeben und alles über sich
ergehen lassen.
Betrachten wir jetzt mal die Situation als mich das
letzte Mal in der Hundepension ein Hund gebissen hat. ICH BIN GEFLÜCHTET! Ich
bin ich in unsere Wohnung gelaufen und habe zuerst etwas auf die verletzte Hand
gedrückt, um die Blutung zu stoppen. Dann habe ich großzügig
Desinfektionsmittel über die Hand gegossen, einen Verband gemacht und bin
sofort zum Nähen zum Arzt gefahren! Ich hatte keine Zeit zu strafen!
Wenn uns ein Hund beißt, haben wir Menschen in
diesem Moment Angst begleitet von der körperlichen Stressreaktion. Auch bei uns
Menschen gibt es dann die 5 „F“. Einige Erstarren, andere machen einen blöden
Spruch und ich bin „geflüchtet“. Wir denken hierbei nicht nach. Diese Reaktion
erfolgt in Millisekunden. Limbisches System und Stammhirn übernehmen die
Herrschaft über unser Verhalten. Jetzt gibt es natürlich diese tollen Menschen,
die damit prahlen, dass sie den Hund in dieser Situation gleich bestraft haben.
Meistens wird dann getreten oder geschlagen. Leider ist das kein „Strafen“,
sondern diese Menschen reagieren einfach über „Fight“ und verkaufen es
hinterher als Strafe. Angeber! Wenn wir gebissen werden, läuft bei niemandem
das über das Großhirn gesteuerte Programm „Strafen“ ab, sondern auch wir
Menschen zeigen ein Verhalten aus den 5 „F“.
Das nächste Problem ist das Strafen selbst. Wenn
ich „strafen“ möchte, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Ich habe 1 Sekunde Zeit, um den Hund zu bestrafen. Nur dann können Hunde die Strafe sicher mit ihrer Handlung verknüpfen.
- Damit Strafe wirkt, muss ich das Verhalten immer bestrafen
- Die Strafe muß die richtige Intensität haben, um das Verhalten sofort zu unterbrechen. Strafen, die man ständig wiederholen muß, sind nicht wirkungsvoll
- Beim Einsatz von Strafe ist die Gefahr der Fehlverknüpfung groß.
Das alles kann ich in dieser Situation nie erfüllen.
Da bei mir die eigene Angstreaktion läuft, werde ich nie das richtige Timing
erwischen. Eine Strafe, nachdem ich beim Arzt war, ist viel zu spät. Der Hund
verknüpft das sicher nicht mehr mit dem Biss. Die richtige Intensität treffen
wir Menschen in der Regel nicht. Hätte ich jetzt den Hund geschlagen und er
hätte dabei einen anderen Hund angeschaut, hätte er möglicherweise den Schmerz
mit dem anderen Hund verknüpft und nicht mit dem Biss in meine Hand.
Kurz und bündig: wir Menschen sind zu langsam zum
Strafen und können die Rahmenbedingungen in der Regel nicht so steuern, wie wir
möchten. Deswegen ist und bleibt Strafen einfach konzentrierter Blödsinn! Wenn ich einen Angsthund strafe, wird er kein
Vertrauen zu mir aufbauen, sondern die Angst wird größer.
Und nun nochmal lerntheoretisch: die Strafe soll ja
vermeiden, dass das Verhalten in Zukunft nicht mehr auftritt. Die 5 „F“ sind
uralte Schutzmechanismen, die sich im Laufe der Evolution bewährt und gefestigt
haben. Sie lassen sich nicht einfach wegstrafen. Man kann nur den Angstreiz
desensibilisieren, aber nicht die Reaktion auf den Angstreiz.
Will ich also Emil aus der Box holen, muss ich das
vorher üben – in der Wohnung, im Garten oder wo auch immer. Tritt die Situation
beim ersten Transport auf, kann ich vorab eine Leine befestigen, die außen aus
der Box heraus schaut. So wäre er gesichert, wenn ich die Boxentür öffne. Dann
könnte ich z. B. mit Leckerli locken. Jetzt höre ich schon die Stimmen, aber
wenn er nicht kommt und er mich noch nicht kennt usw.. Hier muss ich kreativ
werden:
• die Box ins Haus tragen, so dass er entscheiden
kann, wann er raus geht
• oder Eigensicherung über Handschuhe oder eine Decke betreiben
• usw..
• oder Eigensicherung über Handschuhe oder eine Decke betreiben
• usw..
Der Hund muss uns zuerst vertrauen und dann kann
ich ihm ein Alternativverhalten oder überhaupt ein Verhalten beibringen. Ich
bin schon mit unzähligen Hunden mit dem Auto auf den Hundeplatz gefahren und
habe auf ihr „Aussteigen“ gewartet. Langwierig und wenig aufregend. Aus der Box
ziehen oder herausprügeln, hilft sicher nichts. Gefährlich ist außerdem. Jeder muss sich klar
machen: ein Angsthund, der beißt, kämpft um sein Leben. Dementsprechend
unkontrolliert ist das Beißen und die Verletzungen können schwerwiegend sein.
Und nochmal plastischer. Wenn ich als Mensch
Berührungen, aus welchen Grund auch immer, unangenehm finde oder gar Angst habe
und mein Partner schlägt dann zu, werde ich Berührungen dadurch nicht besser
finden. Einen Angsthund für seine normale Angstreaktion zu
strafen ist ethisch verwerflich und absolut inakzeptabel. Angst sucht vertrauen
und keine Strafe!
Strafe macht aufgrund der menschlichen Unfähigkeit auch bei Nicht-Angsthunden keinen
Sinn! :-)
P.S. Beim ersten Erscheinen dieses Textes wurde von aufmerksamen Lesern bemängelt, dass Hundebisse nicht genäht werden. Das ist sicher richtig. Allerdings wurde mein Winkelriss hier auf dem Land genäht. Ob richtig oder falsch will ich gar nicht beurteilen ;-).
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